Das bild der Finnen in der Heimskringla

Dies hier ist ein Auszug meiner Forschungsarbeit an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (insgesamt 116 Seiten) von 1997. Sie beschäftigt sich mit Snorri Sturlussons HEIMSKRINGLA (um 1230). Die HEIMSKRINGLA beschreibt die Geschichte der norwegischen Könige von der mythischen Vorzeit über den Reichsgründer Haraldr inn hárfagri Hálfdanarson (gestorben 933), die Bekehrerkönige Olafr Tryggvason (gestorben 1000) und Olafr inn helgi Haraldsson (gestorben 1033) bis zu Magnus Erlingsson (gestorben 1184). Snorri erwöhnt FINNEN. Diese Forschungsarbeit beantwortet die Frage, wie FINNEN in der HEIMSKRINGLA dargestellt werden und welches Bild sich daraus ergibt.

4.2 Finnin als Verführerin des Königs: Snæfríðr

4.2.1 Inhaltsangabe

Die an dieser Stelle zu untersuchende Erzählung ist der HH entnommen (HH, Kap. 25, S. 125-127). Im ersten Teil der Episode wird der norwegische König Haraldr inn hárfagri Hálfdanarson beim Julgastmahl in Þoptar in den Upplònd gestört. Der Finne Svási lockt Haraldr unter einem Vorwand auf die andere Seite eines Hügels. Hier, in Svásis Bereich, trifft Haraldr auf Svásis Tochter Snæfríðr, verliebt sich in sie und heiratet sie. Die beiden haben vier Söhne miteinander. Haraldr vernachlässigt von diesem Zeitpunkt an seine Aufgaben als Herrscher.
Der zweite Teil der Erzählung berichtet von Snæfríðrs Tod. Haraldr versinkt drei ganze Jahre in Trauer und nimmt nichts mehr um sich herum wahr. Þorleifr spaki Hòrða-Kárason gelingt es, Haraldr aus diesem Zustand zu befreien. Der König ist nun wieder fähig, seinen Amtsgeschäften nachzugehen. (1)

Es handelt sich bei dieser Episode um eine in die Saga eingebettete, selbständige Kurzerzählung.

4.2.2 Die Darstellung der Finnen

Die geschilderte Episode trägt sich in den Upplònd in Norwegen zu. Die unmittelbaren Schauplätze des ersten Teilabschnittes sind der Hof in Þoptar, auf dem das Julgastmahl für Haraldr stattfindet und ein Ort in der Nähe, an dem Svási beabsichtigt, seine Hütte zu errichten. Bei dieser Hütte handelt es sich um einen gammi (aisl. gammi, m. = Hütte aus Erde oder Torf). Es geht aus dem Text nicht hervor, zu welchen Zweck der gammi errichtet werden soll, doch ist anzunehmen, daß er als Behausung dient. Durch die Bezeichnung gammi wird die Hütte innerhalb der Erzählung hervorgehoben, denn die Wohnstätte des Königs findet im Gegensatz dazu keinerlei Erwähnung. Diese darf für den Rezipientenkreis der damaligen Oberschicht vermutlich als bekannt vorausgesetzt werden. Allerdings scheint gammi dennoch ein gängiger Begriff zu sein, da seiner besonderen Konstruktion oder dem verwendeten Material keine weitere Beachtung im Text geschenkt wird.
Die Plazierung der Hütte auf der anderen Seite einer Anhöhe konstruiert einen Gegenbereich zum Hof, an dem der König weilt und macht eine räumliche Grenzüberschreitung Haraldrs erforderlich, um dorthin zu gelangen. (2)

Die Finnenfiguren dieser Episode sind Svási und seine Tochter Snæfríðr. Sie erschließen sich dem Leser auf der Darstellungs- und Funktionsebene. Svásis Identität als Finne wird nicht von Anfang an enthüllt. Er wird zunächst als Figur, die den Namen Svási trägt und den König zu sprechen begehrt, in das Geschehen eingeführt. Als sein Bemühen nicht zum Erfolg führt, läßt der Erzähler Svási beim zweiten Versuch, den König zu Gesicht zu bekommen selbst seine Identität und den Anlaß seines Kommens enthüllen: „En Svási bað bera eigi at síðr annat sinn ørendit ok kvað sik vera þann Finninn, er konungr hafði játat at setja gamma sinn annan veg brekkunnar þar.“ (HH, Kap. 25, S. 126).
Daraus geht hervor, daß Haraldr zu Svási vorher schon einmal Kontakt gehabt haben muß, als er ihm den Bau der Hütte zugesichert hatte. Die Abstammung Svásis bleibt offen, ebenso seine äußerliche Beschreibung. Svásis fungiert als Initiator, Haraldr aus seiner Umgebung herauszulocken, denn der Bau der Hütte ist nur ein Vorwand, der im weiteren Verlauf der Handlung nicht wieder erwähnt wird. Nachdem Haraldr auf Snæfríðr getroffen ist und Svási den Ehevertrag mit Haraldr abgeschlossen hat, fällt Svási aus der Erzählung.

Snæfríðr wird als Tochter Svásis und sehr schöne Frau eingeführt. Ihr Name knüpft an einen Aspekt des Winters an (anord. snær, m. = Schnee). Als sie Haraldr einen Becher Met reicht, weckt dies augenblicklich Haraldrs körperliche Begierde:
Þar stóð upp Snæfríðr, dóttir Svása, kvinna fríðust, ok byrlaði konungi ker fullt mjaðar, en hann tók allt saman ok hònd hennar, ok þegar var sem eldshiti kvæmi í hòrund hans ok vildi þegar hafa hana á þeiri nótt. (HH, Kap. 24, S. 126).
Doch kommt Snæfríðr nur eine, wenn auch sehr wichtige, Statistenrolle in dieser Episode zu. Sie übernimmt als Svásis Tochter, Haraldrs Braut, Haraldrs Frau und schließlich als Leiche eine passive Rolle. Svási und Haraldr sind die handelnden Figuren, Snæfríðr dient als Objekt beider. So wird auch der Heiratsvertrag zwischen den beiden Männern ausgehandelt. Den zweiten Teil der Erzählung bestreitet Snæfríðr als Leiche. Spätestens hier offenbart sich dem Leser, daß es sich bei der Figur der Snæfríðr um ein übernatürliches Wesen handelt, denn ihre Leiche ist nicht dem normalen Verwesungsprozeß ausgesetzt. Noch drei Jahre nach ihrem Tod bleibt Snæfríðr von derselben frischen, roten Farbe wie zu Lebzeiten. (3)

Die Verzauberung, die von Snæfríðr ausgeht, wirkt selbst über ihren Tod hinaus. Erst als die Leiche von der Stelle bewegt wird, offenbart sich der tatsächliche Sachverhalt auch für Haraldr. Die ausdrucksstarke Szene, wie die Leiche blauschwarz anläuft, sich ein übler Geruch erhebt und Getier aus ihr hervorkriecht, steht in krassem Gegensatz zur Schilderung Snæfríðrs zu Lebzeiten und ihrem Zustand einer nicht verwesenden Leiche:

Ok þegar er hon var hrœrð ór rekkjunni, þá slær ýldu ok óþefani ok hvers kyns illum fnyk af líkamanum. … Blánaði áðr allr líkaminn, ok ullu ór ormar ok eðlur, froskar ok pòddur ok alls kyns illyrmi. (HH, Kap. 25, S. 127).
Die aus der Leiche hervorkriechenden Schlangen, Eidechsen, Frösche und Kröten symbolisieren die Falschheit, die nun sichtbar hervortritt. (4)

Jetzt begreift Haraldr, daß er einer magischen Handlung erlegen war. Haraldr beging nicht nur eine konkrete, räumliche Grenzüberschreitung, sondern in der Vereinigung mit einem übernatürlichen Wesen außerdem eine abstrakte, geistige Grenzüberschreitung.
Snæfríðr und Svási haben die Funktion der Gegenspieler des Königs, denn durch ihre übernatürlichen Fähigkeiten haben sie in begrenztem Maße Macht über Haraldr. Snæfríðr wird zu einer konkreten Bedrohung Haraldrs. Sie wird aufgrund der Geschehnisse mit der verwerflichen Zauberei in Verbindung gebracht, ein Zug, der sich in der Familie fortsetzt. Auch einer der vier Söhne von Snæfríðr und Haraldr, Rògnvaldr réttilbeini, wird später als Zauberer geschildert: „Rògnvaldr réttilbeini átti Haðaland. Hann nam fjòlkynngi ok gerðisk seiðmaðr.“ (HH, Kap. 34, S. 138). Und Rògnvaldrs Enkel Eyvindr kelda ist ebenfalls ein Zauberer:

En er þeir kómu þar, þá var einn maðr af þeim, er nefndr er Eyvindr kelda. Hann var sonarsonr Rògnvalds réttilbeina, sonar Haralds hárfagra. Eyvindr var seiðmaðr ok allmjòk fjòlkunnigr. (OT, Kap. 62, S. 311).

Der allwissenden Erzähler berichtet im Rückblick die Ereignisse nacheinander in der Reihenfolge, in der sie geschehen sind. Der Erzähler favorisiert mit seinem Blickwinkel den König, hält sich aber mit direkten Wertungen zurück. Er läßt statt dessen Figuren im Text Andeutungen auf den Ausgang der Geschehnisse machen. Die Reaktion von Haraldrs Leuten, die in ihrer Meinung in zwei Lager gespalten sind, als Haraldr der Aufforderung Svásis, ihm zu folgen, nachkommt, erzeugt beim Leser ein ungutes Gefühl in Bezug auf die bevorstehenden Ereignisse: „En konungr gekk út ok varð honum þess jázi at fara heim með honum ok gekk yfir brekkuna með áeggjan sumra sinna manna, þótt sumir letti.“ (HH, Kap. 25, S. 126).

Der zeitliche Rahmen, der durch die Angabe des Julfestes gegeben wird, verdient besondere Beachtung. Diese Angabe wird von Snorri als Stilmittel und als Symbolik eingesetzt. Das Fest im Jahreslauf ist eine regelmäßig wiederkehrende Einrichtung, die das Empfinden des plötzlichen Eindringens einer Veränderung verstärkt. Svási tritt ungebeten in das Geschehen und leitet eine Handlung ein, die eine große Veränderung in das Leben von Haraldr bringt. Zudem ist die Bedeutung des Julfestes als heidnisches Fest zu beachten. Es ist kein Zufall, daß Svási gerade an diesem Fest an Haraldrs Tür klopft. Hier deutet sich die Veränderung der Glaubensrichtung in Norwegen zum Christentum an.

Die Rolle der Snæfríðr ist für die Ausgestaltung der Erzählung von größtem Gewicht und soll daher im folgenden Kapitel untersucht werden. Svásis Funktion wurde oben erläutert und wird hier nicht mehr zur Sprache kommen.

Fussnoten:

1) Es handelt sich um denselben Þorleifr spaki, der schon König Hálfdan in der HSV einen helfenden Rat gab und Hálfdans Traum zu deuten wußte (HSV, Kap. 7, S. 90-91).
2) Vgl. die Namen der Finnenfiguren der vorhergehenden Episoden in Kapitel .1.1.2, S. 36 und 4.1.2.2, S. 45.
3) Die symbolische Bedeutung der Farbe rot steht hier für das Leben und die Macht, die Snæfríðr über Haraldr ausübt. Auch Óláfr inn helgi behält im Tod eine rote Farbe, was hier im Kontext des Christentums positiv bewertet wird: „Ok er hann þerrði blóð af andlitinu, þá sagði hann svá síðan, at andlit konungsins var svá fagrt, at roði var í kinnum, sem þá at hann svæfi, en miklu bjartara en áðr var, meðan hann lifði.“ (OH, Kap. 230, S. 387). Farben werden in Sagas im allgemeinen nur zur Schilderung außergewöhnlicher Zustände herangezogen. Vgl. Zum Erzählstil der Isländersagas, in: Baetke, Darmstadt 1974, S. 165-172.
4) In der Erzählung der Christianisierung des Guðbranddals durch Óláfr helgi kriechen in einer eindrucksvollen Schilderung Mäuse, so groß wie Katzen, Eidechsen und Schlangen aus dem Götzenbild Thors hervor: „En í því bili laust Kolbeinn svá goð þeira, svá at þat brast allt í sundr, ok hljópu þar út mýss, svá stórar sem kettir væri, ok eðlur ok ormar.“ (OH, Kap. 113, S. 189). Einerseits liefert Snorri dafür eine natürliche Erklärung (die Lebensmittel, die für Thor geopfert werden, ziehen diese Tiere an), andererseits stehen die Tiere für die Falschheit des Heidentums im Gegensatz zum Christentum. Eine Entsprechung stellt die Tradition der Bedeutung der Schlange für Falschheit und Hinterlist in der Bibel dar.


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